Donnerstag, 12. November 2015

DAS VANITAS STILLLEBEN



Jacob Marrell : Vanitas Stillleben mit Blumenstrauß, Geige und Totenschädel (1637)

"Vanitas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Eitelkeit. Zu der Zeit als dieses Gemälde entstanden ist, war jener Begriff gleichbedeutend mit "Wertlosigkeit" und "Vergänglichkeit",was durch die symbolischen Bedeutungen der im Bild vorkommenden Motive dargestellt werden soll.
Die Grundidee des Vanitas-Stilllebens ist es nämlich den Menschen vor Augen zu halten, dass aller irdischer Besitz vergänglich und wertlos ist.
Es kann also als ein Appell verstanden werden die kurze Zeit, die dem Menschen auf der Erde verbleibt zu nutzen und sich nicht an weltlichen Dingen festzuhalten. Dies ist ganz im Sinne des Leitgedanken der zugehörigen Epoche (Barock): "CARPE DIEM", welches in dem Gemälde durch die zahlreichen sinnbildlichen Gegenstände repräsentiert wird, die in der Mauernische angesammelt sind.

"Vanitas-Stillleben können in unterschiedlichster Form auftreten. So malte der Niederländer Abraham van Beyeren u.a. großartige Prunkstillleben, in denen der ganze Reichtum des damaligen Holland sichtbar wird. Voller Symbole steckt hingegen das 'Vanitas-Stillleben mit Blumenstrauß, Geige und Totenschädel'." (Grundkurs Kunst 1, S.48)

Diese sind am leichtesten zu erkennen und zu verstehen, wenn man bei der Betrachtung des Bildes systematisch vorgeht. Hier bietet es sich an mit den vordergründigen Erscheinungen zu beginnen und sich dann immer weiter in den Hintergrund hinein zu arbeiten.

Das Gemälde weist bei intensiver Betrachtung also verschiedene, versteckte Botschaften, durch vom Künstler gezielt eingesetzte Symbole auf: ( Reihenfolge nach Auffälligkeit)
  1. Verwelkender Blumenstrauß: kurze Beständigkeit eines Menschenlebens, trotz seiner Schönheit
    Bedeutung der verschiedenen Blumenarten:
    1.Weiße Madonnen-Lilie: Jungfräulichkeit, Unschuld, Reinheit
    2.Tulpen: Spekulation, Leichtsinnigkeit, Vergänglichkeit, Symbol der Niederlande
    3.Rosen: Liebe, Freude, Jugend
  2. Gläserne Blumenvase: "Zerbrechlichkeit" des menschlichen Lebens
  3. Geige und Notenbuch (Spiegelung in der Vase): Ablenkung der Menschen und Vergeudung begrenzter, kostbarer Zeit
  4. Totenkopf im Hintergrund: Erinnerung an die Sterblichkeit, trotz der Freuden des Lebens im Vordergrund, z.B.: Geige, Blumen etc.
    ... Diese Gegenstände befinden sich in der Bildmitte und verkörpern somit die zentralen Aussagen des Gemäldes
  5. Pfeife und Tabak: Genuss, Verweis auf Geruchs- und Geschmackssinn
  6. verglimmende Lunte: unaufhaltsam verrinnende Lebenszeit des Menschen
  7. teilweise geschälte Zitrone: Verweis auf Geruchs- und Geschmackssinn
  8. Ring, Goldmedaille und -münzen: Wertlosigkeit weltlichen Ruhms und Reichtums
  9. Messer: Verletzlichkeit, Symbol der männlichen Sexualität
  10. Schreibfeder im Tintenfass: Symbol literarischen Ruhms (entfernte Möglichkeit einer Art "Unsterblichkeit", durch Würdigung geschaffener Werke in der Nachwelt, die jedoch nur den wenigsten Menschen zuteil wird)
  11. An Krümeln nagende Maus: Anspielung auf die Hungersnot und Epidemien im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648)
  12. Eidechse: Symbol für das Böse(kleiner Drache)
  13. Libelle: früher für lebensbedrohlich giftig gehaltenes Insekt
  14. Schmetterling: Symbol der Reinkarnation und Unsterblichkeit
  15. Bücher unter dem Totenkopf: Auslöschen des Wissens nach dem Tod
  16. Engels-Putte mit Seifenblasen: Paradoxon, Zeichen der Flüchtigkeit irdischen Lebens
  17. Engels-Putte mit Sanduhr: verfließende Lebenszeit des Menschen
  18. Tötenköpfe hinter Engelsputten: Omnipräsenz des Todes, selbst bei religiösen Motiven
  19. Spiegelung in der Vase: Selbstportrait des Künstlers, Eitelkeit

Verbindung der Vanitas-Symbolik mit der Thematik der fünf Sinne:
  • Sehsinn: Blumenstrauß, Totenkopf und Bücher
  • Gehör: Geige und Notenbuch
  • Geruch: Blumenstrauß, Tabak und Zitrone
  • Geschmack: Tabak und Zitrone
  • Tastsinn: Geige, Goldmünzen

Hintergründe und Interpretation des versteckten Selbstportraits:
Jacob Marrell, der 1614 in Frankenthal als Sohn einer wohlhabenden Familie geboren wurde, war der einzige Schüler Georg Flegels, der ihn das Malen lehrte. Das durfte damals durchaus als Privileg verstanden werden, weil zu dieser Zeit der Dreißigjährige Krieg wütete.
Deshalb verschlug es Marrell durch die dortige Entwicklung im Bereich der Stillleben in die Niederlande nach Holland. Holland war die Hochburg eines strengen Calvinismus, von dessen Anhängern gefordert wurde, allem Weltlichen zutiefst zu misstrauen, ein streng moralisches Leben zu führen und alle Vergnügen zu meiden. Hätte ein Künstler unter diesen Umständen ein Selbstportrait von sich geschaffen, hätte man diesen für eitel, stolz und narzisstisch gehalten, weil er sich selbst für würdig genug befunden hätte, gemalt zu werden.
Dennoch wollte Jacob Marrell sich in irgendeiner Form auf seinem Werk verewigen, weshalb er sich dazu entschied ein Vanitas-Stillleben anzufertigen und dabei genau den Anblick auf die Leinwand zu projizieren, der sich ihm bot, was seine eigene Reflexion miteinschloss.
So konnte er die Abbildung von sich selbst als eine Maßnahme präziser und detailgetreuer Handwerkskunst rechtfertigen, ohne dabei eitel oder stolz zu wirken. Es handelt sich also sozusagen um ein Bild im Bild.

Die Vanitas- Philosophie:
Die Vanitas-Philosophie ist eine Kombination aus dem mittelalterlichen Mahnspruch "MEMENTO MORI" ("Bedenke, dass du stirbst!") und dem barocken Leitgedanken "CARPE DIEM" ("Nutze den Tag!").
Zusammengefasst heißt das: "Das Leben ist schön, aber kurz, deshalb nutze und genieße es, bedenke dabei jedoch stets die Folgen deiner Taten!"








Quellverzeichnis:

























Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen